Dienstag, 8. September 2009

Himmelansteigende Treppen

Sehnsucht nach Licht Reinhold Gries 008.04.10|Offenbach

Offenbach ‐ Tag für Tag hockt er da, Hans Mettels grübelnder „Sitzender“ an Offenbachs Büsingpark, und schaut zum Verkehrsgewühl der Berliner Straße, vor sich die Hochhaustürme des Hauses der Wirtschaft, neben sich eine Stele mit gemeißeltem Text zu den Häusern Domstraße 23 und 25. 

© Georg

Eine von Barbara Beisinghoffs beiden Schriftfahnen im Rathaus

Zur Luminale zeigt das Archiv im Haus der Stadtgeschichte, Herrnstraße 61, vom 14. April bis 12. Mai, die Ausstellung „Himmelansteigende Treppen“.

Vor 50 Jahren wurden sie in Schutt und Asche gelegt, nicht durch Kriegsbomben wie die Nachbarhäuser. Historikerin Christina Uslular-Thiele dazu: „Die Wohnhäuser der (Sophie von) La Roche und ihrer Nachbarn André blieben mit nur leichten Schäden wie Inseln stehen... Alte Überlegungen, die innerstädtischen Verkehrsverhältnisse zu verbessern, wurden auch in der Domstraße ohne Sentimentalitäten durchgesetzt.“

Die damalige Stadtregierung kaufte für die groß dimensionierte Durchbruchstraße, die künftige Berliner, Grundstücke und Häuser auf und begann 1960 mit dem Abriss des La-Roche- und André-Hauses. Proteste blieben ungehört. Hiesige Literaturgeschichte musste fortan ohne die „Grillenhütte“ der Dichterin Sophie von La Roche auskommen, bei der ihre Enkel Bettine und Clemens Brentano wohnten und herumtobten, und unsere Musikgeschichte ohne das André-Haus, von dem Mozart-Erstdrucke in die Welt gingen. Erstaunlich, wie sogar der Offenbacher Geschichtsverein einstimmte: „Die Durchbruchstraße und mit ihr die Sanierung der Altstadt wird die längst fällige Flurbereinigung des alten Stadtkerns mit sich bringen, den noch erhaltenen anachronistischen Restbestand des dörflichen Offenbach eliminieren und den Weg in die Zukunft öffnen.“

Ob solcher Sprache gruselt es Dr. Jürgen Eichenauer, Leiter des Hauses der Stadtgeschichte, und Stadtarchivarin Anjali Pujari ist entsetzt: „Einfach schrecklich das Ganze. Wie konnte man nur? Aber das war wohl der Zeitgeist damals.“ Damit finden sich nicht nur die schlecht ab, die Tränen vergossen, als sie den Anfang der 60er gedrehten Filmclub-Streifen über Offenbachs Altstadt sahen.

Nun wollte die in der Welt herumgekommene Dreieicher Künstlerin Barbara Beisinghoff zur Luminale 2010 an das La-Roche-Jahr 2007 und das Bettine-Jahr 2009 anknüpfen, die man zur Aufwertung des Offenbach-Images nutzte. Und dann das: Beisinghoff plante, vom Standort des untergegangenen Literaturhauses am Büsingpark aus Lichtprojekte zu installieren, um an Bettine und die Grillenhütte zu erinnern. Auf die Seitenwand des Hauses der Wirtschaft sollte Bettines Text zu den Domstraßenpappeln als „himmelansteigende Treppen, auf die ich wie alle oft hinangestiegen bin, um der Sonne nachzusehen“ erscheinen, dessen Portal vom poetischen Sprachbild des „Himmelspurpurmantels“ hinterleuchtet werden. Im Rathaus sollte, gewebt in chinesische Organzaseide, Bettines Text an Karoline von Günderode von 1840 hängen: „Es ist am Ende ganz lächerlich, wenn wir alles Schöne und Herrliche im Geist berühren und genießen, und wir sitzen in der Wirklichkeit wie eingefroren (...) in der pappendeckelnen Welt.“

Auch Offenbacher Sponsoren schienen wie eingefroren, als sich Jürgen Eichenauer und Ria Baumann vom Amt für Wirtschaftsförderung um die Finanzierung bemühten. Als der Bad Homburger Eigentümer des Doppelturmensembles absagte („Die Bespielung des Hauses ist nicht erwünscht“), war das Projekt gescheitert.

Derweil feiern das Luminale-Programm und das Offenbacher Kulturforum die Aktion weiterhin als poetische Bereicherung des Stadtbilds. Beisinghoff dazu: „Das wäre ein Glanzlicht gewesen, an einer der sensibelsten Stellen der Stadt.“ Im Haus der Stadtgeschichte stellt die renommierte Künstlerin transparente Blätter und Drucke ihres Künstlerbuchs „Himmelansteigende Treppen“ aus zu Bettines Briefroman an die Günderode, ihre literaturbegabte Freundin.„Was sich nach Licht sehnt, ist nicht lichtlos, denn die Sehnsucht ist schon Licht.“

Ausstellung Himmelansteigende Treppenzur Luminale 2010 14. April – 12. M ai 2010 Archiv im Haus der Stadtgeschichte Herrnstraße 61 63065 Offenbach am Main Di, Do 9 - 12 und 13.30 – 15.30 Uhr Jetzt ragen die Türme des Hauses der Wirtschaft in den Himmel unweit der Stelle, an welcher in Offenbach die "Grillenhütte"der Sophie de la Roche stand, in welcher ihre Enkelin Bettine Brentano, (*1785 in Frankfurt), zeitweise ab 1797 nach dem Tod ihrer Eltern wohnte. Da, wo heute die Berliner Straße verläuft, führte die Domstraße auf die französisch reformierte Kirche zu, (wobei sich die Historiker uneins sind, ob der Name Domstraße daher rührt, dass man von hier den Frankfurter Dom sah oder ob die Offenbacher ihre französisch reformierte Kirche Dom nannten). Das Projekt will poetische Wortschöpfungen und Offenbacher Kulturgeschichte im Stadtbild präsent werden lassen mit Textabschnitten aus Bettina Brentanos Briefromanen. Auf dem Archivfoto der Domstraße sieht die "Grillenhütte", das Wohnhaus von Bettines Großmutter, das erste breite Haus auf der Sonnenseite, anders aus als in der Zeichnung,weil im19. Jahrhundert die Gauben im Mansarddach des Barockhauses ersetzt wurden durch die höher gezogene Fassade. Der Text Bettina Brentanos (aus einem ihrer Briefe an ihre Freundin, die Dichterin Karoline von Günderode) bezieht sich auf die Pappeln im hinteren Teil des Gartens der Grillenhütte, auf die Bettina als Kind oft geklettert ist. Sie konnte von oben bis zum Main schauen. Es gibt nicht viele Dichter, die in und über Offenbach geschrieben haben. 1840 wurden Bettina von Arnims Briefromane veröffentlicht. Sie schreibt: Ich wär so gern heut wieder nach Offenbach, aber alles fuhr nach Rödelheim, und wir haben, im großen Himmelspurpurmantel mit eingehüllt, auf der Wiese uns amüsiert, bis es Nacht war. Bettina von Arnim ist nicht nur eine romantische Schriftstellerin mit sozialem Engagement, sie beschreibt Visionen, z.B. von einer Reise auf einem backsteinernen Fluss, wo die Ruderer vergeblich Wellen schlagen wollten, und nur mit den Stechstangen ging's langsam vorwärts ...